Gadamer besuchte mich in meinem Haus. Wir müssten die Welt retten, sagte er, jetzt sofort, es sei keine Zeit zu verlieren. Was er vor habe, fragte ich, und dass ich erst gestern hier angekommen sei, ich machte Urlaub. Aber das interessierte ihn nicht. Dafür sei jetzt nicht der Moment, meinte er.

Ich versuchte, ihn zu beruhigen, schenkte ihm ein Glas Wein ein. Komm, setzen wir uns auf die Terrasse, sagte ich, es ist warm. Und wir gingen nach draußen, setzten uns an den großen, alten Holztisch, Gadamer trank hastig ein paar Schlucke. Vor uns breitete sich der Garten aus, allerlei Grünzeug wuchs darin, Kräuter vor allem. Dahinter standen die noch jungen Weinstöcke in Reihen, es roch nach den sandigen Böden. An manchen Tagen vermischte sich dieser Geruch mit jenem des Wassers des nahen Atlantiks.

Du lebst hier wie im Paradies, sagte Gadamer. Es ist kein Wunder, dass du mit dem Elend da draußen nichts zu tun haben möchtest.
Aber ich bin erst seit gestern hier.
Wie auch immer, meinte er.
Was hast du nun vor?, fragte ich. Woher kommst du überhaupt? Bleib doch für ein paar Tage, es gibt Platz genug.
Es ist egal, woher ich komme, ich bin die ganze Nacht und den halben Tag gefahren. Da ist jemand hinter mir her.
Das stimmt nicht, sagte ich, du rennst schon wieder davon. Hör auf damit, es ist sinnlos. Du wirst nirgends sicher vor dir sein.

Aber ich habe genug von diesem Theater, sagte er, ich spiele nur. Alles ist unecht, mein ganzes Leben ist eine einzige Parodie. Es geht jetzt nur noch darum, die Welt zu retten, alles andere macht keinen Sinn mehr, und anschließend von hier abzutreten, ohne eine Spur zu hinterlassen. Das möchte ich. Nichts zurücklassen, während alle anderen darauf aus sind, sich für immer hier zu verewigen. Das hat doch eigentlich etwas von Größenwahn, dieses unnötige Denkmalsetzen. Unsere Erde ist voll davon, wir müssen sie also retten, dringend.

Aber das ist ein Widerspruch, sagte ich, du kannst nicht die Welt retten wollen und dich anschließend aus dem Staub machen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Und auch noch zu glauben, damit durchzukommen. Und was soll das überhaupt heißen, die Welt retten? Das ist mir zu ungenau, da mach ich nicht mit.

Du bist widerspenstig, antwortete er.
Deshalb magst du mich ja.
Aber du gehst immer in Opposition. Seit ich dich kenne, ist das so. Das kannst du nicht machen.
Warum nicht? Das kann ich doch.
Siehst du, du machst es schon wieder.
Nein, mache ich nicht.
Ach, das ist aussichtslos, sagte Gadamer und lachte.
Er verlangte mehr Wein. Schmeckt gut, schmeckt ausgesprochen gut, dieser Wein. Kommt er von den Reben dort oben?
Nein, sagte ich, nicht ganz, aber aus der Nähe.
Was machst du eigentlich den ganzen Sommer über hier, allein?
Nichts, sagte ich.
Wie macht man nichts?
Indem man alles sein lässt.
Und das schaffst du?
Ja, sehr gut sogar. Ich mache natürlich nicht gar nichts, ich mache nur Dinge, die mich nicht anstrengen. Ich halte das Haus in Ordnung und den Garten. Ich sitze auf der Terrasse an diesem Tisch und schreibe oder lese. Ich laufe durch die Weingärten, manchmal bis hinunter zum Meer.
Er ist schön, dieser Tisch, sagte Gadamer, und strich mit seiner Hand über die unebene Holzfläche.

Er gehörte meinen Großeltern, antwortete ich. Er stand in ihrer Stube. Zu Weihnachten saßen wir alle um diesen Tisch, während es aus der angrenzenden Konditorei meines Onkels nach Festtagsbäckerei roch. Als das Haus abgerissen wurde nach dem Tod der Großeltern blieb dieser Tisch übrig. Ich wollte ihn unbedingt haben. Aber er ist massiv und schwer. Es war nicht einfach, ihn hierher zu bringen.

Ich stand auf, ging ins Haus zurück und holte eine neue Flasche Wein. Ich schenkte nun auch mir ein Glas ein. Wir sollten etwas essen, sagte ich. Also holte ich auch Käse, Brot, Tomaten und eine kleine Schale mit Olivenöl. Dann ging ich in den Garten und pflückte Kräuter, nahm vom Thymian, Oregano und Basilikum, vor allem davon. Meine Hände rochen nach ihrem Aroma. Ich legte sie zum Käse und den Tomaten aufs Holzbrett. Wir begannen zu essen, prosteten uns zu und tranken einen Schluck Wein. Gadamer entspannte sich.

Hast du denn keine Angst hier?, fragte er. Allein?
Ich bin nicht allein, sagte ich. Weiter hinten gibt es einen Bauern. Etwa fünf Minuten von hier.
Das würde mich nicht unbedingt beruhigen.
Aber ja, du hast recht, antwortete ich, manchmal habe ich Angst. Wenn ich ein fremdes Geräusch höre in der Nacht. Ich habe zu viel Fantasie, um mir nichts dazu auszumalen.
Und was machst du dann?
Ich stehe auf und gehe auf die Suche nach diesem Geräusch. Ich gehe ihm entgegen, sozusagen. Denn wenn man davonläuft und sich versteckt, wird es nur noch schlimmer. Also versuche ich, das Gegenteil davon zu machen. Wenn’s sein muss, gehe ich sogar vors Haus, gehe in den Garten bis hinauf zu den Weinbergen. Aber so weite komme ich meistens gar nicht, weil ich im Garten stehenbleibe und in den Himmel schaue. Ich schaue mir die Sterne an. Weißt du, wie fantastisch das hier ist! In manchen Nächten kann ich nicht aufhören damit, einfach nur nach oben zu schauen. Dann lege ich mich ins Gras oder auf eine Decke und bin völlig überwältigt von diesem Anblick. Darüber vergesse ich das merkwürdige Geräusch meist ganz. Nach einer gewissen Zeit weiß ich dann nicht mehr, warum ich eigentlich aus dem Haus gegangen bin, mitten in der Nacht.

Aber bist du wach, wenn du das machst, oder schläfst du?, fragte Gadamer.
Ich weiß nicht, sagte ich, ich glaube, ich bin wach. Macht das denn einen Unterschied?
Er lachte. Für mich würde es einen machen.
Für mich nicht, antwortete ich. Ich bewege mich gern zwischen diesen Welten, das geht ganz leicht. Manchmal frage ich mich sogar, in welcher ich mich mehr zu Hause fühle.

Neulich hatte ich einen seltsamen Traum, sagte ich dann. Ich war auch in einem Haus, einem alten, dunklen Holzhaus, das aber viel größer war als meines. Es hatte einen Dachboden, der sehr gemütlich eingerichtet war. Alte Möbel standen darin und zwei Metallbetten mit geblumten Decken darauf. Alles war äußerst liebevoll hergerichtet, es war hell, die Sonne kam durchs Fenster. Ich fühlte mich sehr wohl in diesem Raum, der offen und weit war, ich überlegte, ihn für mich zu beziehen. Dann ging ich einen Stock tiefer, fand dort den Wohnraum, in dem eine gemütliche Couch stand und viele Pflanzen, auch hier war alles sehr geräumig und offen. Doch es war düster im Raum. Die Fensterläden waren geschlossen, weil draußen gerade ein gewaltiger Sturm hereinbrach. Ich ging zu einem der Fenster, die alten Läden schepperten, irgend etwas schlug konstant gegen die Wand des Hauses. Es war ein Holzbrett, das sich im Sturm gelöst hatte. Es verband das Haus mit einer kleinen Veranda, die sehr brüchig wirkte. Ich schaute nach draußen, sah Wiesen und einen Wald ganz hinten am Horizont. Darüber dunkle Wolken, es hatte zu regnen begonnen und der Wind, der ans Haus drängte, wurde immer stärker. Aber ich fühlte mich sicher und wohl hier. Ich machte mir nichts aus dem Sturm und aus den Fenstern, die nicht mehr anständig zu schließen waren, und auch nicht aus der düsteren Stimmung im Raum, weil der Mann, den ich liebe, ebenfalls hier war. Er stand hinter mir, in einer gewissen Entfernung, und versuchte, ein paar Dinge zu organisieren, er telefonierte, um jemanden vor dem aufkommenden Sturm zu warnen. Plötzlich läutete es an der Tür. Es ist meine Mutter, sagte er. Sie kommt nun öfter hierher, weil sie einsam ist. Ich vermutete, dass sein Vater gestorben sei, ich sagte, ich werde gehen und ihr die Tür öffnen. Aber ich wusste nicht, wo ich den Türöffner finden konnte. Es war also offenbar sein Haus, in dem ich mich aufhielt. Also beschloss ich, die Treppen nach unten zu gehen und die Tür direkt zu öffnen. Ich ging einen Stock tiefer, es wurde dunkler, ich ging noch einen Stock tiefer. Jetzt konnte ich gar nichts mehr sehen. Ich holte ein Feuerzeug aus der Tasche und machte Licht, bemerkte, dass beide Stockwerke noch brach lagen. Da war nichts. Nur diese unheimliche, ausladende Dunkelheit, die sich in die kahlen Räume hinein erstreckte. Aber ich ließ mich nicht von meinem Vorhaben abbringen. Einen Moment überlegte ich, ob es gefährlich sein könnte, die Türe einfach so zu öffnen. Wer wusste schon, ob tatsächlich seine Mutter davor stand. Aber dann besann ich mich darauf, dass ich in einem Traum war und hatte keine Bedenken mehr. Ich ging also zur Tür und öffnete sie. Und weißt du, was passierte?

Nein, sagte Gadamer, was?
Nichts. Da war niemand. Ich ging also hinaus, weil ich diesem Klingeln auf die Spur kommen wollte.
Du bist also auch in deinem Traum dem Geräusch gefolgt, sagte Gadamer.

Ja, offensichtlich, sagte ich. So habe ich es noch gar nicht betrachtet. Ich ging also hinaus, suchte nach dem Geräusch und plötzlich war da eine Stadt, die sich vor mir ausbreitete. Es war heiß und die Sonne schien. Die Stadt lag anscheinend am Meer, es war aber keine europäische Stadt. Ich begegnete Leuten, die gerade vom Strand zurückkamen, die ausgelassen und entspannt wirkten. Aber hinten am Horizont sah ich schon die dunklen Wolken, sah ich den Sturm aufziehen, der auf der anderen Seite des Hauses bereits wütete.

Und was schließt du daraus?, fragte Gadamer.

Ich weiß nicht, sagte ich, ich fand es erstaunlich, wie viele Facetten so ein Haus haben kann, wie viel es darin zu entdecken gibt, wenn man die Geduld dazu hat und sich traut. Dass es eine helle und eine dunkle Seite gibt. Und dass man sich auf jeden Fall beides anschauen sollte, weil es sich lohnte.

Wer ist dieser Mann, fragte Gadamer, in dessen Haus du warst? Seit wann liebst du überhaupt jemanden?
Wohl eine ganze Weile schon, sagte ich.
Du hast mir nie davon erzählt.
Das stimmt, antwortete ich.
Warum nicht?
Weil es keinen Grund dazu gab.
Aber der Umstand der Liebe an sich ist doch eigentlich schon Grund genug.
Womöglich.
Du willst nicht darüber sprechen, sagte er. Wird er dich auch besuchen, hier, in deinem Haus?
Nein, wird er nicht.
Warum nicht?
Weil er es nicht möchte.
Woher weißt du das?
Ich weiß es eben, sagte ich.
Hat er es gesagt?
Nein.
Aber wie hat er dann reagiert?
Gar nicht.
Warst du denn jemals zu Besuch bei ihm? Wirklich, meine ich.
Was heißt das, wirklich? … aber nein, ich habe ihn nie besucht.
Hat er dich danach gefragt?
Ja, hat er. Ein paarmal.
Und du hast ihn trotzdem nie besucht?
Nein.
Und jetzt vermutest du, ihm liegt nichts an dir, weil er nicht reagiert? Nachdem du, wohlgemerkt, auch nicht reagiert hast.
Ja, das vermute ich.
Aber das ist unlogisch, sagte Gadamer.
Das hier hat nichts mit Logik zu tun, sagte ich.
Hat es doch, antwortete er. Du bringst es doch selbst in eine logische Form. Oder hast du ihm gesagt, dass du ihn liebst?
Ich denke, dass ihm das bewusst ist.
Das heißt also, du hast es ihm nicht gesagt.
Ich habe es ihm nicht so direkt gesagt, nein. So etwas sagt man nicht einfach so heraus.
Das stimmt, sagte Gadamer, besonders du nicht.
Was meinst du damit?
Du gehst auch hier in Opposition. Du hast dir bestimmt gedacht, ich hüte mich davor, ihm das zu sagen. Er soll es sagen, er muss mir damit zuvorkommen.
Du kennst mich zu gut, sagte ich, das ist nicht lustig.
Aber du machst einen Fehler, sagte Gadamer.
Den habe ich womöglich schon längst gemacht, antwortete ich.
Kann man ihn revidieren?
Nein, antwortete ich. Aber ich glaube auch, dass man nicht grundlos Fehler nacht. Es hat schon einen Sinn, dieses Fehlermachen, es war mir damals eben nicht anders möglich. Ich konnte es nicht besser.

Ich finde es trotzdem traurig, sagte Gadamer. Wie vielen Menschen begegnet man schon im Leben, die man wirklich liebt?
Wenigen, sagte ich. Aber es ist in Ordnung so. Es ist in Ordnung, weil wir uns zumindest begegnet sind. Weil ich weiß, dass es ihn gibt. Und weil ich damit leben kann, dass er nicht hier ist. Mittlerweile habe ich gelernt, damit umzugehen. Ich wünsche mir nur, dass es ihm gut geht.

Das klingt aber äußerst selbstlos, sagte Gadamer. Das hat fast schon etwas Erhabenes.
Du glaubst mir nicht, sagte ich.
Nein, nicht wirklich, meinte er. Ich bemühe mich ja, aber es fällt mir schwer.
Nimm mich nicht auf den Arm, sagte ich.

Ich möchte dich nur aus der Reserve locken, sagte Gadamer. Du erzählst mir, dass du mitten in der Nacht das Haus verlässt, um einem fremden Geräusch zu folgen. Du sagst, dass es besser ist, sich zu stellen, anstatt davonzulaufen. Und was machst du in diesem Fall? So lange man hier ist, kann man Dinge verändern. So lange man hier ist, kann man immer wieder damit beginnen, sich neu auszurichten. Das stammt doch von dir, oder nicht? Das ist doch deine Meinung?

Trinken wir erst einmal auf diesen schönen Abend, sagte ich. Die Sonne stand schon tief, eine warme, rote Landschaft breitete sich vor uns aus.

Nein, sagte Gadamer, das machen wir nicht, du lenkst ab.
Vielleicht möchte ich nun doch die Welt retten, sagte ich im Scherz, das erscheint mir einfacher.
Ich habe nicht gewusst, dass du so viel Angst vor Liebe hast, sagte Gadamer.
Hat das nicht jeder?, fragte ich.
Sag es ihm!, insistierte er.
Nein, antwortete ich.
Das war klar, dass du das sagst. Du bist widerspenstig!
Das hatten wir schon.
Und ich werde es dir noch oft sagen.
Aber er ist ein Mann.
Was hat das damit zu tun?
Er möchte es nicht hören.
Warum nicht?, fragte Gadamer. Warum sollte er es nicht hören wollen?
Weil es zu viel ist. Du bist auch ein Mann, möchtest du es hören?
Natürlich möchte ich es hören!

Du möchtest es vielleicht dann hören, sagte ich, wenn es dich ebenfalls rettungslos erwischt hat. Dann möchtest du es vielleicht hören. Aber wenn du dir nicht sicher bist. Und, sei ehrlich, wer ist sich anfangs schon sicher, ob er sich ausliefern möchte. Wenn du dir also nicht sicher bist, möchtest du es nicht hören. Dann würdest du, nämlich genau du, so, wie ich dich kenne, nach so einer Offenbarung ins Auto steigen und eine Nacht und einen halben Tag lang durchfahren, nur, um dann hier anzukommen und mir zu erzählen, dass jemand hinter dir her wäre und dein Leben eine einzige Parodie sei.

In Ordnung, sagte Gadamer, trinken wir nun auf diesen schönen Abend. Wir hoben unsere Gläser, lachten uns an und tranken.
Man sagt einem Menschen nicht einfach so, dass man ihn liebt. Und schon gar nicht sofort. Man fällt nicht mit der Tür ins Haus.
Wobei wir wieder beim Haus wären, sagte Gadamer. Seit wann hast du es eigentlich, dieses Haus? Es ist unglaublich schön hier.
Seit zwei Jahren, sagte ich.

Du musst es ihm sagen, meinte er dann. Das ist das Leben. Du hast nur jetzt die Gelegenheit dazu. Was nützt dir dieser schöne Ort, wenn du bei all dem Nichtstun ganz darauf vergisst, das Wichtigste zu erledigen? Und wenn du es ihm nicht sagen kannst, dann schreibe es. Setz dich an diesen Holztisch, wenn du alleine bist, und schreibe es auf. Schreibe unser Gespräch einfach auf. Mach eine Geschichte daraus und gib sie ihm.

Eine Geschichte, sagte ich, und wie heißt diese Geschichte?
Das Traumhaus, sagte Gadamer und lachte.
Das ist mir jetzt zu banal. Das klingt wie ein Werbeslogan. Das würde ich nicht lesen wollen.
Es war ja auch nicht ernst gemeint. Mir fällt nur nichts ein.
Siehst du, und genau da liegt das Problem, sagte ich. Mir fällt nämlich auch nichts ein.
Du wirst es jetzt doch nicht vom Titel abhängig machen, ob du diese Geschichte schreibst oder nicht.
Natürlich mache ich es davon abhängig. Ich brauche einen Titel, ich kann sonst nicht schreiben. Ich bin ein Titelfetischist. Wenn mir keiner einfällt, ist das eine schwere Niederlage. Dann kann der Text, der darunter entstehen würde, nichts Wert sein.
Hartnäckig, sagte Gadamer. Hartnäckig und widerspenstig. Versuch es doch einfach einmal!

Es war bereits dunkel geworden. Ich ging ins Haus, um Kerzen zu holen. Die Luft war noch immer angenehm warm, Grillen zirpten. Aus den Weingärten und weiter hinten aus den Wäldern waren vereinzelte Schreie der Nachtvögel zu hören.

Fühlst du dich nun besser?, fragte ich Gadamer.
Viel besser, sagte er. Er atmete tief durch, wirkte entspannt und ruhig.
Womöglich müssen wir die Welt gar nicht retten, sagte ich. Womöglich rettet sie gerade uns.
Ja, irgendwie stimmt das, meinte Gadamer. Zumindest hier, an diesem Ort, trifft das bestimmt zu.
Du bleibst doch über Nacht?
Wenn ich kann, sagte er, bleibe ich sehr gerne. Und morgen früh fahre ich zurück. Es ist ein weiter Weg.
Ich weiß, antwortete ich, eine Nacht und ein halber Tag weit. Wohin kommt man eigentlich in einer Nacht und einem halben Tag?
An viele Orte, sagte Gadamer. Das ist ja das Schöne. Ich kann es mir aussuchen. Mir stehen alle Richtungen zur Verfügung.

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Gadamer schien noch zu schlafen. Ich ging in die Küche und machte Kaffee, richtete Frühstück auf der Terrasse.

Gadamer wirkte erholt, als er sich zu mir setzte. Ich habe sehr gut geschlafen, sagte er.
Ich auch, antwortete ich. Ich war bereits im Garten und habe die Pflanzen gegossen. Es wird wieder ein heißer Tag.
Jetzt verstehe ich, was du so machst in deinem Nichtstun. Es füllt den ganzen Tag aus.
Ja, das ist richtig, das macht es, und mir wird auch nie langweilig dabei. Ich werde später mit dem Rad ans Meer fahren, sagte ich, es gibt dort einen Strand, der immer menschenleer ist.

Du weißt aber schon, was du noch zu tun hast?, fragte Gadamer.
Ich habe hier gar nichts zu tun, sagte ich.
Wie du meinst, antwortete er. Wenn du mir von Neuem widersprichst, werde ich dich nun eben hereinlegen und meine Aufforderung anders formulieren: Du wirst es ja ohnehin nie tun, du wirst nie schreiben! Und was antwortest du jetzt?
Nichts mehr, sagte ich. Nichts mehr antworte ich.

Ich begleitete Gadamer noch zu seinem Auto.
Fahr vorsichtig, die Strecke ist lang, wohin auch immer sie dich führt.
Ja, das mache ich, antwortete er.
Und gib Bescheid, falls du einen Plan hast, wie du die Welt retten möchtest. Ich bin auf jeden Fall bereit und werde mit dir aufbrechen.
Das mache ich, sagte er. Er umarmte mich fest und lange, dann stieg er ins Auto und fuhr davon.

Ich ging zurück auf die Terrasse, dann ins Haus, holte Papier und Bleistift, setzte mich damit wieder nach draußen an den großen Holztisch, trank noch eine Tasse Kaffee und schrieb:

Gadamer besuchte mich in meinem Haus. Wir müssten die Welt retten, sagte er, jetzt sofort, es sei keine Zeit zu verlieren.

Dann stoppte ich, dachte an den Titel der Geschichte, der noch immer fehlte, heute wie gestern, überlegte weiter, schweifte mit meinem Blick durch den Garten, die Kräuter hatte ich vorhin zu wenig gegossen, die brauchten mehr Wasser, ich legte also den Bleistift beiseite und wanderte hinaus in den Garten, der Sternenhimmel, wie grandios dieser Sternenhimmel doch immer ist, hatte ich mich nicht eben ins Bett gelegt, ging es mir durch den Kopf, oder war das schon gestern und heute war alles anders, heute gab es diesen Titel bereits, und Gadamer fuhr erst in zwei Stunden oder war nie hier gewesen, wie dem auch sei, dachte ich, es ist auch egal, letztendlich ist alles egal. Letztendlich geht es hier nämlich nur ums Nichtstun, so einfach ist das. Und dann abzudampfen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Das hatte schon etwas.